Die demografische Alterung ist ein europaweiter Prozess, in dem Bildung eine Schlüsselfunktion zur Gestaltung alternder Gesellschaften besitzt. Ältere Menschen mit geringem Einkommen und einer ungünstigen Bildungsbiographie nehmen wenig an Weiterbildung teil. Vor diesem Hintergrund ist das Projekt SEELERNETZ (Senioren lernen in Europa in Netzwerken), welches von der Europäischen Union mit ihrem Programm für lebenslanges Lernen gefördert wurde, in fünf Ländern durchgeführt worden. Das Projekt verfolgte das Ziel, bildungsungewohnte bzw. sozial benachteiligte SeniorInnen über die Bildung von Netzwerken an Lernprozesse heranzuführen.
Das Projekt begann am 1.10.2008 und endete zum 30.9.2010. Die beteiligten Partnerländer, Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Österreich und Rumänien orientierten sich dabei im Projektablauf an einem Fünf-Phasen-Modell, welches die Integration der Zielgruppe in Lernprozesse gewährleistete. Diese fünf Phasen sind: die Bestimmung von Untersuchungs- und Handlungsfeldern (1.); die Analyse von alltäglichen Handlungsproblemen der Zielgruppe mittels einer Befragung (2.); die Implementierung von lernenden Netzwerken auf Basis der eruierten Lernbedürfnisse (3.); die Pilotphase, in der sich ältere Menschen regelmäßig treffen und zu lernenden Netzwerke entwickeln (4.) regelmäßig treffen und die Sicherung der Nachhaltigkeit (5.).
Als Untersuchungsfeld wurde in Österreich Zwischenbrücken im 20.Wiener Gemeindebezirk gewählt. Aus der quantitativen Datenerhebung, an der 181 SeniorInnen teilnahmen, ergaben sich vor allem Lernbedarfe aus dem unmittelbaren Wohnumfeld. Nach einer Kick-Off-Veranstaltung, in der die Ergebnisse der Befragung mit den befragten SeniorInnen diskutiert wurden, entwickelte sich das lernende Netzwerk auf Basis eines sozialräumlichen Ansatzes. Der sozialräumliche Ansatz erlaubt sowohl in seiner konzeptuellen als auch in der methodischen Grundlegung, das unmittelbare Wohnumfeld als Ort des Lernens und Handelnszu begreifen. Nach dem Kick-Off traf sich die Gruppe von älteren Menschen einmal im Monat, wobei diese Zusammenkünfte mit einem „Grätzelspaziergang“ begannen. Damit wurde einerseits der Vorstellung vom aktiven Altern gefolgt und andererseits eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Sozialraum ermöglicht. Im Anschluss an den mit Aufgaben verknüpften „Spaziergang“, die einem Thema zugeordnet waren, wurde das Gesehene im biographischen Kontext reflektiert. Der Besuch des Bezirksmuseums, des lokalen Pflegezentrums oder der lokalen Fachhochschule sowie der Spaziergang in den 19. Stock eines im Wohnraum gelegenen Bürogebäudes sind als Beispiele für die Gestaltung der Netzwerktreffen zu nennen.
Als Ergebnisse dieses Aktionsforschungsprojekts, können folgende Punkte genannt werden: Um Zugang zu sozial benachteiligten älteren Menschen zu finden, braucht es Kontakte zu lokalen Institutionen; mediale Öffentlichkeit baut Berührungsängste gegenüber organisierten Bildungsprozessen ab; ein weiter Lernbegriff, der informelles, non-formales und formales Lernen gleichermaßen umfasst, öffnet Bildung in Richtung Sozialraumanalyse und Gemeinwesenarbeit, was sich gerade bei bildungsbenachteiligten Gruppen als günstig erweist; um bildungsungewohnte SeniorInnen in Lernprozesse einzubinden, müssen diese Lernprozesse einen Bezug zur Lebensrealität der Teilnehmenden haben; um die Integration in Netzwerke nachhaltig zu gewährleisten und Lernprozesse in der Gruppe bestmöglich zu fördern, eignet sich sehr gut eine Mischung aus Gemeinsamkeiten (z. B. Alter, Interesse, Wohngebiet) und Unterschieden (z. B. Bildungsniveau) – damit kann unterschiedliches soziales Kapital angesprohen werden.
Die Forschung hat gezeigt, dass in allen beteiligten Ländern bildungsungewohnte Personen bzw. sozial benachteiligte ältere Menschen über das in diesem Projekt entwickelte Design erreicht werden können. Überraschend war in diesem Projekt das Interesse der älteren Menschen, nicht nur etwas zu erfahren und zu lernen, sondern gestaltend in den unmittelbaren Lebensraum einzugreifen - ob es dabei um die Beseitigung von Hindernissen im öffentlichen Raum ging oder um Fragen nachbarschaftlicher Organisation. Widerlegt werden kann damit jene gerontologische Theorietradition, die das Alter als defizitär und disengagiert beschreibt.
Präsentation 15. April 2010: Learning in later life and social inclusion
Beginn
Ende
Finanzierung/Auftraggeber
EU-Projekt; Programm Lebenslanges Lernen Grundtvig